Fachartikel Januar 2020 | Prognostiker
Fachartikel Januar 2020 | Prognostiker
Wenn neue Jahre oder sogar Jahrzehnte anbrechen sind Prognostiker jeweils wieder vielbeschäftigte und im wahrsten Sinne des Wortes gefragte Leute. Es liegt in der Natur des Menschen, dass er wissen will, was die Zukunft bringt, weil er weiss, dass sich die Vergangenheit nicht wiederholen wird. Auch bei der Arbeit als Vermögensverwalter arbeitet man für und in die Zukunft. Man muss sich ein Bild über sie machen. Wichtig ist dabei, zu unterscheiden, was man wirklich weiss, und was – im Volksmund als «Kaffeesatzlesen» bezeichnet – lediglich vermutet wird.
Wenn man so Geld verdienen könnte, wie es die letzten 20 Jahre funktioniert hat, wären die reichsten Leute alle Bibliothekare.
– Warren Buffett
In der heutigen Finanz- und Medienwelt werden Vermutungen mit einer Überzeugung und Selbstverständlichkeit dargeboten, dass man als Leser das Gefühl bekommen könnte, die Schreibenden wüssten tatsächlich, was uns alle erwartet. Nach all meinen Jahren in der Vermögensverwaltungsbranche bin ich primär eines geworden: Demütig. In den letzten Jahren habe ich mich gefragt, warum die Adressaten des «Finfotainment», also des «Financial Infotainment», nicht kritischer sind geworden sind. Schliesslich wissen sowohl wir, als auch unsere Kunden aus ihrer eigenen Tätigkeit, dass Prognosen für soziale, vom Menschen bestimmten Systemen wie der Wirtschaft im Allgemeinen oder dem Finanzmarkt im Speziellen eigentlich ein Ding der Unmöglichkeit sind. Als Vermögensverwalter sollte man sich dessen bewusst sein. Trotzdem muss man sich eine Meinung über die Zukunft zu machen, damit die Ziele der Kunden erreicht werden können. Bei unserer Arbeit stützen wir uns auf eine Vielzahl von Indikatoren ab, welche aus unserer Sicht das Verhalten des Marktes bis zu einem bestimmten Grad einschätzen lässt. Wir errechnen keine Zahlen auf die zweite Kommastelle, wir machen keine Punktprognosen für Währungen oder Aktienindices. Aber wir tun unsere Arbeit mit einem wachen Auge, eine gesunden Portion Skepsis und einer Erdung, welche uns zur Überzeugung führt, dass beispielsweise die «Bäume nicht in den Himmel wachsen». Die meisten Entwicklungen kehren immer wieder zu ihrem langfristigen Trend zurück – beispielsweise Verhältnisquoten der Realwirtschaft zum Aktienmarkt.
Das zähe Überleben von überzeugt kommunizierten Zukunftsprognosen hängt aus meiner Sicht primär damit zusammen, dass die Investoren gewissen Neigungen unterliegen, welche man in der Verhaltensökonomie als «Biases», also Veranlagungen oder Verzerrungen bezeichnet. Biases sind natürliche menschliche Verhaltenszüge. Die Prognostiker unterliegen dabei der klassischen Selbstüberschätzung («overconfidence») und der Fähigkeits-Illusion. Untersuchungen haben ergeben, dass die meisten professionellen Prognostiker tatsächlich glauben, dass sie die Zukunft voraussagen können. Und dies sogar noch überdurchschnittlich gut. Bekannt ist auch, dass die Prognosen in der Regel wertlos sind. Besonders selbstsichere Prognostiker sind dabei ironischerweise auch noch besonders schlecht. Nichtsdestotrotz will das Publikum Prognosen. Prognosen bedienen andere Biases auf Seiten der Adressaten. So fühlen wir uns beispielsweise besser, wenn wir Begründungen für Dinge haben oder konkrete Aussagen, an welchen wir uns orientieren und mental halten können (sogenanntes «Framing» oder «Anchoring»).
Gibt es nun aber wirklich keine guten Prognostiker? Doch. Die gibt es. Der umtriebige kanadische Psychologe und Wirtschaftswissenschaftler Phil Tetlock hat aufgrund einer Vielzahl von Studien eruiert, was sogenannte «Super-Prognostiker» ausmacht. Es sind in erster Linie auch Charaktereigenschaften. Gute Prognostiker beschäftigen sich nur mit Fragen in ihrem Fachgebiet («Circle of competence»), sie suchen immer nach schlagenden Gegenargumenten für ihr Thesen; gute Prognostiker zweifeln an ihren Annahmen, sie ändern ihre Meinung, wenn neue Fakten dies nötig machen, sie analysieren ihre Fehler, sie arbeiten im Team und sie sind demütig – wissen also um die Grenzen ihrer Fähigkeiten. Ob wir jeweils zu «Super-Prognostikern» werden, wissen wir – naheliegenderweise! – nicht. Aber es ist unsere Ambition, gute Prognostiker zu sein. Tetlock hat nämlich auch herausgefunden, dass der Unterschied zwischen normalen und guten Prognostikern gross ist. Der Schritt zum Super-Prognostiker aber sehr klein.