In Sight | Frühjahr 2019
In Sight | Frühjahr 2019
Wenn der Vorhang fällt
1989 ist in Berlin die Mauer gefallen. Das hat eine rund 40 Jahre herrschende, zwar etwas makabre, aber stabile Weltordnung dies- und jenseits des Eisernen Vorhangs aus den Fugen gehoben. Die dadurch freigesetzten Kräfte haben weltweit eine rasante Entwicklung in Gang gesetzt, welche retrospektiv als Gegenbewegung oder Kompensation bezeichnet werden kann. Doch wie fast immer, wenn Energien unterdrückt werden, schlägt das Pendel in der Regel immer etwas zu weit aus. So auch in den letzten 30 Jahren. Schauen wir zuerst zurück.
Aufholjagd schafft neue Ungleichgewichte
Die ehemals kommunistischen Ostblockländer wurden in einen teilweise mehr, teilweise weniger bis gar nicht geordneten Kapitalismus entlassen. Ebenfalls setzte der Asiatische Kontinent zu einer Aufholjagd an, wie sie nur möglich ist, wenn ehemals unterdrückte Länder in einer freiheitlich organisierten Welt «domestiziert» werden. Da die Entwicklung mehr oder weniger beispiellos war, lies man sie wohlgemut geschehen.
Die EU begab sich ab 1992 auf einen rasanten, und man kann sagen, undifferenzierten, fast idealistischen Expansionskurs, welcher massgeblich von einer basisfernen politischen «Elite» ohne Rücksicht auf nationale Befindlichkeiten vorwärtsgetrieben wurde. Diese «hors-sol»-Politik führte dazu, dass sich im System EU grosse Spannungen aufgebaut haben, welche sich nun allmählich, aber halt ruckweise, abgebaut werden. Die EU hat es verpasst, sich passende Strukturen zu geben. Die Währung namens EURO ist ein politisches Projekt und eine ökonomische Fehlkonstruktion. Wie immer, wenn die Politik das Primat über den Markt hat, muss das Resultat zumindest kritisch betrachtet werden. Die Antwort der (noch) 28 EU-Länder war eine beispiellose Geldflut mit der Spritzkanne. Faktisch hat die EZB die Staatsdefizite zahlreicher EU-Länder finanziert. Das wäre gemäss Maastricht-Vertrag zwar verboten, das interessiert aber – Achtung: Primat der Politik! – auch die Gerichte nicht. In Europa – und damit auch der Schweiz – hat dies zu immensen Spannungen im System geführt, welche sich auf die eine oder andere Weise entladen werden.
Mit dem grossmehrheitlichen, vermeintlichen Ende des Sozialismus hat auch die Globalisierung einen enormen Schub erfahren. Produktions- und Handelsketten wurden global. Es wurde und wird produziert, wo es gerade am günstigen ist. Global hat dies enorme Produzentenrenten geschafft und Aktionäre rund um den Globus beglückt. Dass damit die Inflation stark gedämpft worden ist, kann rückblickend als positiver Nebeneffekt bezeichnet werden. Die Globalisierung hat in den Emerging Markets Millionen von Menschen aus der Armut behoben und im Westen die Oberschicht noch reicher gemacht.
Und heute?
Im Gegensatz zur Schweiz, wo das Volk quartalsweise seine Meinung kundtun und sich generell stärker am politischen Prozess beteiligen kann, sind in der EU in den vergangenen Jahren die Spannungen ans Tageslicht gekommen. Nationalistische Tendenzen sind nichts anderes als die Früchte der asymmetrischen Verteilung von Wohlstandsgewinnen und der Ignoranz von politischen Eliten in der westlichen Welt. Ob in den USA, Deutschland, Italien, Frankreich oder selbst im kultivierten Österreich: Das Volk wählt die Alternative, um das bestehende, teilweise fast feudalistische System zu brechen. Egal, wer die Alternative ist. Hauptsache, es ändert sich etwas. Das Establishment reibt sich die Augen und geht zur Tagesordnung über.
China hat sich derweil zum Ziel gesetzt, die neue dominierende Weltmacht zu werden. Auch hier reibt sich der Westen die Augen: Wer gedacht hätte, dass der WTO-Beitritt des Reichs im Jahre 2001 dazu führen würde, dass sich China fortan als mustergültiger Teilnehmer am Weltmarkt an die Spielregeln halten würde, sieht sich getäuscht. China weiss ganz genau, dass das Riesenreich im Rücken im bilateralen Verhältnis mit exportierenden Staaten ein unbezahlbares Pfand ist. Wer mit dem aufstrebenden Riesen Geschäfte machen will, muss sich an die Regeln des sozialistischen Regimes halten. Geld regiert die Welt. Und so beugen sich Weltverbesserer wie Google oder andere US-Firmen dem Diktat der Partei in Peking. Zensur wird toleriert, wenn dafür der Yuan rollt. Das Land der aufgehenden Sonne hat es geschafft, mit Kapitalismus erster Güte enorme Gewinne zu machen, diese aber als Wohltat der sozialistischen Partei darzustellen und dabei das kommunistische Regime sogar noch zu stärken. Mit Demokratie und Menschenrechten ist es trotz zunehmendem Wohlstand nicht weit her. Dank der teils kopierten, teils selbst erarbeiteten technologischen Möglichkeiten ist des der Führung des Landes gelungen, die Überwachung der Bevölkerung fast zu perfektionieren. Ein hochtechnologischer Überwachungsstaat reibt sich die Hände ob der Möglichkeiten, welche die enge globale Vernetzung bietet.
In den Vereinigten Staaten ist das nicht unbemerkt geblieben und die vergessene Mittelschicht, welche von der Globalisierung mitnichten profitiert hat, beginnt sich nun zu wehren. Die Spannung hat sich 2016 mit der Wahl des neurotischen Selbstdarstellers Donald Trump zu Präsidenten begonnen zu lösen. Was jetzt folgt, ist der Eisberg, welcher sich in Bewegung gesetzt hat.
Die Schweiz als das gemäss einer aktuellen Statistik des KOF mit der Welt am stärksten vernetzte Land kann es sich derweil leisten, sich führungslos um Dinge wie Kuhhörner oder die Auswahl von Kampfflugzeugen zu kümmern. Denn als kleines Land war und ist sie dazu verdammt, vernetzt und flexibel zu sein. Diese wird ihr in den nächsten Jahren zum Vorteil gereichen. Auch hierzulande werden die Beben, die die Spannungen, welche sich überall auf der Welt aufgebaut haben, ab und zu ein Schütteln verursachen. Aber die Schweiz wird damit umzugehen wissen. Die grösste Gefahr lauert im Inland. Saturiertheit und Selbstgefälligkeit sind mittlerweile zweifelslos diagnostizierbar. Wenn es der Schweiz nicht gelingt, hier auf den liberalen Pfad der Tugend zurückzukehren, gibt sie ohne Not ihre Trümpfe im politischen Pausenplatzgerangel ab, welche sie beim Gerangel in der Rückabwicklung der Globalisierung gut gebrauchen kann.
Dass die Schweiz umgeben ist von einem Gebilde, welches über die letzten 5 Jahre eine Geldpolitik betrieben hat, welche völlig fehlgeleitet ist, hilft ebenfalls wenig, sondern ist Grund zu Besorgnis. Wenn eine EZB die Märkte trotz moderatem Wirtschaftswachstum mit Geld flutet und die Schweizer Nationalbank sich in Sippenhaft begibt, bleibt einem immer mehr die Sprache weg. Das geldpolitische Experiment in der EU wird kein gutes Ende nehmen und für den Schweiz Franken bedeutet dies alles andere als Abwertung.
Es wird sich zeigen, ob die Zeichen der politischen «Vorbeben» richtig gedeutet werden, oder ob die Vogelstrauss-Strategie in zahlreichen Ländern weitergeführt wird. Es ist eine diffuse und – weil global – komplexe Gemengelage, welche noch einige Zeit vor sich hin «köcheln» kann.
Anlagestrategie: Die Chancen-Risiko-Hantel
Für Investoren ist hierbei ein Risiko, zwischenzeitliche Opportunitäten in gewissen Märkten zu verpassen. Ein mindestens gleich grosses Risiko ist aber, dass man in den falschen Momenten in den falschen Märkten exponiert ist.
The Blue Finance empfiehlt deshalb, anlagetaktisch eine «Hantelstrategie» zu fahren. Auf der einen Seite der Stange legen wir aus der Chancen-Perspektive an. Dazu legen wir unseren Kunden Aktien von Regionen ins Depot, welche strukturell stark und am Wachsen sind. Dazu zählt für uns einerseits die Schweiz, welche stark vom Export in die aufstrebenden Länder profitiert und deren Unternehmen international vernetzt sind. Zudem ist der notorisch starke Franken ein Stahlbad, welches die Firmen für den internationalen Wettbewerb stählt. Andererseits gehört ein Engagement in den Emerging Markets und insbesondere in Asien zur wachstums- und chancenorientierten Seite der Hantel. Dabei kann auf Aktien, wie auch auf Obligationen in Hartwährung gesetzt werden.
Die andere Seite der Hantel ist dominiert als Gegengewicht die Risiko-Perspektive. Allem voran zählen hier dividendenzahlende Aktien von Goldproduzenten sowie das gelbe Edelmetall selber zu den präferierten Anlagen. Gold hat den Nimbus als das ultimative Zahlungsmittel nicht verloren. Insbesondere in Zeiten, in welche diese tote Materie totgeschrieben wird, empfiehlt es sich, zuzugreifen. Als Ergänzung kann auf dieser Seite der Hantel auch auf Schweizer «Betongold», also Immobilienanlagen, gesetzt werden. Sollten die erwarteten Beben tatsächlich ausbrechen, wird Grund und Boden in der Schweiz sicher nicht an Wert verlieren. Auch werden steigende Zinsen in einem solchen Szenario kein Problem für Immobilien darstellen.
In der Mitte der Hantel positionieren wir uns mit Bargeld oder kurzlaufenden Obligationen. Sie sind das Pulver, welches opportunistisch verschossen werden kann, wenn sich ins Bild passende Gelegenheiten bilden.
Es sind nicht gerade aufbauenden Zeilen, welche wir hier zum Besten geben. Aber wenn Notenbankiers und Politiker die Augen vor der Realität verschliessen, sollten es verantwortungsvoll und professionell handelnde Investoren es ihnen nicht gleichtun. Stattdessen ist es ihre Pflicht, originelle Antworten darauf finden, wie die Anlageziele auch einem herausfordernden Umfeld bestmöglich erreicht werden. Das Blaue Wunder überlassen wir gerne anderen.